Mit Derivaten den Wetterlaunen
trotzen
Vom
Golfclub bis zum Energieversorger/Optionen und Swaps auf
Niederschlagsmengen, Sonnenstunden und Tagestemperaturen
Sieben von zehn Unternehmen sind mehr oder minder stark
vom Wetter abhängig. Mit Wetterderivaten lässt sich dieses
Risiko ausschalten oder zumindest verringern. Während sich
diese Form der Absicherung in den USA bereits etabliert
hat, bietet der europäische Markt noch viel Potenzial.
Von Michael Brückner
Manche Besitzer von Biergärten und Eisdielen schauen jedes
Jahr gegen Ende Juni öfter mal zum Himmel. Ziehen sich dort
am 27. Juni graue Wolken zusammen, trüben sich auch die
Umsatzerwartungen für die aktuelle Sommersaison ein. Denn
regnet es am Siebenschläfer-Tag, drohen nach einer weithin
bekannten Bauernregel sieben feuchte Wochen.
Schlechte Aussichten für Biergarten-Gastronomen und Eis-Verkäufer.
Doch nicht nur für sie. Auch den Hoteliers, Landwirten und
Betreibern von Sportanlagen kann ein schlechter Sommer im
wahrsten Sinne des Wortes das Geschäft verhageln. Umgekehrt
erleiden Energieversorger in milden Wintermonaten Umsatzeinbußen.
„Siebzig Prozent aller Unternehmen sind von den Launen des
Wetters abhängig“, sagt Hans Esser, Geschäftsführer des
Beratungsunternehmens FinanzTrainer.com in Grevenbroich.
Und er weiß, was dagegen zu tun ist: Mit Wetterderivaten
könnten die betreffenden Betriebe gezielt vorbeugen und
so „ihrer kaufmännischen Sorgfaltspflicht“ entsprechen.
Das Wort von der „Wetter-Wette“ klingt in den Ohren von
Hans Esser zu spekulativ. „Die wahren Spekulanten sind jene,
die um die Wetterabhängigkeit ihres Geschäfts wissen und
nichts dagegen unternehmen“, meint Esser, der sich seit
1998 mit dem Management von Wetterrisiken beschäftigt.
Was ein heißer Sommer zum Beispiel für Brauereien bedeuten
kann, weiß das britische Meteorologische Institut: Danach
hat ein Temperaturanstieg von drei Grad Celsius einen zusätzlichen
täglichen Bierkonsum von zehn Prozent zur Folge. Bleibt
es aber regnerisch und kühl, können die Brauer allzu hochgesteckte
Umsatzerwartungen in den Wind schreiben.
Mit einem Wetterderivat sichern sich Unternehmen gegen derlei
wirtschaftliche Unwägbarkeiten ab. Dies geschieht in der
Regel durch ein Optionsgeschäft. Das Unternehmen sucht sich
einen Partner, der bereit ist, das wirtschaftliche Risiko
zu übernehmen und bei wetterbedingten Einbußen seines Kunden
einen Ausgleich zu zahlen. Hierfür erhält der Risikoträger
– meist Großbanken oder Versicherungen – eine Optionsprämie.
Deren Höhe ist vom Umfang des Risikos abhängig. „Wer zum
Beispiel für München eine Absicherung gegen eine durchschnittliche
Temperatur im August von mehr als 35 Grad wünscht, zahlt
sehr wenig, weil die Risiko-Wahrscheinlichkeit extrem gering
ist. Eine Option mit der Basis 18 Grad wird hingegen kaum
bezahlbar sein, weil die Durchschnittstemperatur deutlich
darüber liegen dürfte,“ erklärt Hans Esser die stark variierende
Höhe der Optionsprämien.
Der Preis für die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Wetter
hängt also von der Basis ab, auf die sich die Option bezieht.
Bei konventionellen Optionen sind dies Wertpapiere, Aktienindizes,
Währungen oder Zinssätze. Den Wetteroptionen liegen hingegen
Durchschnittstemperaturen, Niederschlagsmengen oder Sonnenstunden
zu Grunde. Je höher die Wahrscheinlichkeit, dass die abgesicherte
Wettersituation eintritt, desto höher die Optionsprämie.
Hinzu kommen die Kosten für die Beschaffung der Wetterdaten
(Esser: „Meist ein paar hundert Euro“) und das Honorar für
die Analyse des Wetterrisikos sowie die Vermittlung eines
Risikoträgers.
Verläuft die Saison ganz nach dem Geschmack des mit einem
Wetterderivat abgesicherten Unternehmens, verfällt zwar
die Optionsprämie, dafür macht der Betrieb im Idealfall
aber höhere Umsätze, so dass er den vergleichsweise geringen
Verlust verschmerzen kann.
Die so genannte Swaps – die zweite Gruppe von Wetterderivaten
– sind eher selten anzutreffen. In diesen Fällen übernehmen
zwei Partner mit gegensätzlichen Risiken wechselseitig ihre
Absicherung. Dies könnten zum Beispiel ein Reisebüro und
ein Getränkegroßhandel sein. Während Reisebüros von einem
verregneten Sommer meist profitieren, weil viele Sonnenhungrige
kurzentschlossen in den Süden reisen, hofft der Getränkehändler
aus naheliegenden Gründen auf einen heißen Sommer. Um sich
gegenseitig abzusichern, übernimmt jeder das Risiko des
anderen. Solche Beispiele seien freilich rein theoretisch,
meint Hans Esser. Nach seiner Erfahrung kommen Wetter-Swaps
fast ausschließlich über Händler zustande.
Obwohl einzelne Wetterderivate an den Terminbörsen in Chicago
und London gehandelt werden, gibt es derzeit noch kein Massengeschäft.
Die meisten dieser Derivate werden einzeln ausgehandelt.
Die Suche nach einem Risikoträger erfolgt in der Regel über
einen der in London ansässigen Wetterbroker. Als sich vor
kurzem zum Beispiel der Golfclub Gut Apeldör im norddeutschen
Hennstedt mit einem Derivat gegen schlechtes Golfwetter
absichern ließ, übernahm die französische Großbank Société
Generale das Regenrisiko. „Nun sind wir nicht mehr länger
von den Launen des Wetters abhängig, sondern betreiben Risikomanagement“,
freut sich Dieter Worms, einer der beiden Geschäftsführer
des Golfclubs.
Ob Energieversorger oder Golfclub, Getränkehersteller oder
Hotelier, Bauunternehmer oder Freizeitindustrie: Der Markt
für Wetterderivat ist breit – und das Potenziale ist vor
allem in Europa nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Nach
einer vor kurzem von Finanztrainer.com veröffentlichten
Studie des Beratungsunternehmens PriceWaterhouseCoopers
wurden zwischen April 2001 bis März 2002 in Europa fast
600 Kontrakte abgeschlossen. Das entspricht einem Zuwachs
von 345 Prozent. Der Kontraktgegenwert hat sich auf rund
550 Millionen Dollar etwa verzehnfacht.
Bislang ist der Markt der Wetterderivate eine Domäne der
institutionellen Investoren. Doch könnte sich dies schon
bald ändern. Im vergangenen Jahr, weiß Hans Esser, habe
bereits eine deutsche Großbank geplant, Wetterderivate an
Privatanleger zu verkaufen. Ein Projekt, das allerdings
nicht weiterverfolgt worden sei. Schade eigentlich, denn
ein Wetterderivat könnte Stabilität ins Depot bringen, da
es sich unabhängig vom Kapitalmarkt entwickelt. Anders ausgedrückt:
Auch an trüben Börsentagen kann die Sonne scheinen.
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